Der Glasgarten by Christa Hein

Der Glasgarten by Christa Hein

Autor:Christa Hein [Hein, Christa]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Frankfurter Verlagsanstalt
veröffentlicht: 2015-07-17T00:00:00+00:00


26

Sie geht zu Bett. Fabian ist nicht mehr gekommen. Als sie am nächsten Morgen aus einem totenähnlichen Schlaf erwacht, sieht sie als Erstes die Äste des alten Baums vor ihrem Fenster. Wie riesige Arme mit um sich greifenden Händen. Einen Moment glaubt sie, dass es der Park gegenüber der Wohnung ihrer Mutter ist. Bis ihr Blick auf eine luxuriöse, auf dem alten Parkett freistehende Badewanne fällt.

Fabian sitzt bereits an seinem PC. 'Ich hoffe, du hast gut geschlafen? Als ich gestern noch ein Glas mit dir trinken wollte, warst du bereits im Land der Träume. Lass uns zusammen frühstücken. Ich war schon beim Bäcker. Ich dachte, es ist sicherer, wenn ich diesmal die Croissants hole.' Er hat ihr ihr unschönes Verschwinden von damals offensichtlich verziehen, so leicht, wie er es dahinsagt, denkt Julie.

Sie folgt ihm in die Küche. Noch immer benutzt er die alte hölzerne Handmühle, die seine Lieblingstante ihm hinterlassen hat. Julie hatte es geliebt, die alte Kurbel zu drehen, dann das duftende Mehl aus der kleinen Holzschublade zu schütten. Sie blickt in den verwilderten Garten. Einige Bäume müssten dringend beschnitten werden. 'Kann ich kurz meine Mails checken?'

Fabian macht eine Geste Richtung Büro. Sie gibt ihr Passwort ein. Die Kanzlei hat eine Nachricht geschickt. 'Sehr geehrte Frau Zurbrüggen, anbei die Bestätigung der französischen Kanzlei, betreffend die notarielle Beglaubigung einer Generalvollmacht Ihrer Schwester für Gilles Goudevert.' Das weiß sie doch alles längst, die Anwältin selbst hat es ihr erzählt.

Fabian trägt ein Tablett in den Wintergarten. 'Und? Was kommt da aus Deutschland? Gute Nachrichten?'

'Nur die schriftliche Bestätigung dessen, was ich bereits wusste. Warum gestaltet sich alles so schwierig?'

'Erzähl mir, wie weit bist du mit deinen Nachforschungen?'

'Gestern Morgen dachte ich: Jetzt bin ich ganz nah dran. Aber ich habe mich getäuscht. Der Mann, den meine Schwester mit einer umfassenden Vollmacht ausgestattet hat, will nicht mit mir reden! Er hat mir gedroht und seinen Hund auf mich gehetzt. Ich vermute, er weiß, wo Florence ist, und sagt es mir nicht, weil es aus seiner Sicht einen triftigen Grund dafür gibt. Alles, was ich habe, sind ein paar alte Fotos, eine Kachel, die vermutlich von dem Haus stammt, ein mysteriöser Plan und ein paar Notizen.'

'Was für Notizen?'

Julie holt ihre Tasche. Dann nimmt sie die Pergamentrolle heraus und entrollt sie auf der Anrichte.

Fabian beugt sich über das Blatt. 'Woher hast du das?'

'Ein Junge, der dort im Haus war, hat es mir gegeben.'

'Sieht wie ein Grundriss aus.'

'Wegen der botanischen Bezeichnungen dachte ich, es sei ein Gartenentwurf. Aber wenn ich genauer hinsehe und die Pflanzen den nummerierten Standorten zuordne, dann entsteht eher ein botanisches Massaker, vom gärtnerischen Standpunkt aus eine Katastrophe. Winzige lichtbedürftige Pflanzen werden abgetötet von riesigen Artgenossen. Hier zum Beispiel: Die Akelei von einer freistehenden Wisteria erwürgt, die Madonnenlilien im feuchten Sumpfgrasgelände, die zarte Fritillaria niedergezwungen von schweren Päonienköpfen. Dein Garten ist ein Paradies dagegen.'

'Ich habe ihn sich selbst überlassen, als du fort bist. Als Mahnung sozusagen, dass ich alles falsch gemacht habe.



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